“Mystisch, andächtig und Ähnliches sind mir als Maler fremd, keinesfalls Ziel. Sondern: Bewusstheit, Ordnung, Klang von der Ordnung her.” Otto Mayer-Amden an Oskar Schlemmer, um 1932.
“Was genau bedeutet es, wenn gesagt wird, dass die Malerei in die Stille tendiert? Denn eine bestimmte Art von Malerei, gerade von figurativer Malerei, tendiert ja tatsächlich in die Stille, oder jedenfalls in eine kontemplative Ruhe, allem äußeren Anschein nach. Geht man also davon aus, dass, wenn auch nicht alle Malerei, so doch zumindest diese Art von figurativer Malerei wirklich die Stille sucht, so scheint gemeint zu sein: die einfache, klare, in sich ruhende Form, das sparsame Narrativ, die wie eingefrorene Bewegung, den bildnerischen „(Film-)Still“, oder allgemeiner: Verhaltenheit, Verinnerlichung, Kontemplation. Und ginge man weiter davon aus, diese Art von Malerei versuchte, wie es die Dichtung tut - jedenfalls nach der Definition des großen Octavio Paz - den Augenblick zu „bannen“, das “unentwegte Weiterfließen, wie das Leben es uns vorführt, anzuhalten“, verschwiege eine solche Malerei dann nicht das dynamisch Bewegte, das Energische, Schwungvolle, Gestische, Ekstatische, den Fluss, den Wandel, die Transzendenz, leugnete sie dann nicht die Bewegung als den Inbegriff der Lebendigkeit?
Doch versenkt man sich in die Stille einer solchen Malerei und lässt ihre Formen auf sich wirken, erweist sie sich als nicht völlig still. Als würde ihre verhaltene Ruhe von etwas unterlaufen, einem Undercurrent, einer Unrast, etwas, das in ihren Tiefen zu arbeiten scheint - und sei es nach außen hin nur zu erahnen. In dieser Ahnung offenbart sich die dunkle Seite dieser Art von Malerei, metaphorisch dunkel, ganz unabhängig von der Palette des Malers. Irgendwo in der Tiefe gibt, wie die Unruh im Uhrwerk oder der Herzschlag im Körper, etwas rastlos den Takt an. Die in die Stille tendierende Malerei ist auf diese, ihre ganz eigene Art und Weise körperlich, blutdurchpulst und dunkel. Ihr Ductus ist nicht bewegt, nicht verspielt, nicht fahrig, nicht heftig, sie sucht und findet die feste, klare, in sich ruhende Form, jedoch stets in Spannung versetzt und in Spannung gehalten durch einen inneren Energiefluss.
Gehen wir also davon aus, dass dies die Aufgabe ist, vor die der Maler gestellt ist: Durch die ihm vertrauten Räume zu gehen und auf dieser alltäglichen Wanderung in den einfachsten Dingen, im allergewöhnlichsten Geschehen, das nur zufällig in den Blick gerät, auf Bildwürdiges zu stoßen, Szenen, in denen sich eine solche spannungsvolle, lebendige Ruhe auf bildnerisch umsetzbare Weise verwirklicht; in den Gesichtern zu lesen und die Augenpaare in diesen Gesichtern ihrerseits wandern und suchen und selbst noch unter den geschlossenen Lidern zucken zu sehen, in dieser seltsamen, sich nach Ruhe sehnenden Unrast, die alles Lebendige umtreibt.
Dann nämlich erkennen wir, dass die in die Stille tendierende Malerei die Lebendigkeit nicht verschweigt, sondern sie auf eigene Weise subtil sichtbar zu machen versucht. Das Bannen des Augenblicks zielt dann - in Dichtung wie Malerei gleichermaßen - darauf ab, “einen bestimmten Zeitabschnitt auszugrenzen und ihn dadurch der neutralisierenden Wirkung zu entziehen, der er als nicht differenzierter Teil unseres alltäglichen Lebens eigentlich unterliegt.“ Alles hängt ab und findet Anlass und Grund in einer besonderen Art der Wahrnehmung, die im Alltag, innerhalb und außerhalb des Ateliers, immer gerade im Hier und Jetzt beharrlich eingeübt werden muss.”